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Lesezeit: 5 Minuten
Seit Jahrzehnten beschäftigt Deutschland die Reform der Pflegeausbildung. Vor allem in den letzten beiden Legislaturperioden wurden die Debatten um eine generalistische Pflegereform vorangetrieben und Modellprojekte ausgewertet. Nun ist die Reform in der Umsetzung.
In der Diskussion um die Reform stehen sich noch heute die Befürworter und Gegner mit ihren Interessenvertretern gegenüber. Aber der entscheidende Schritt ist vollbracht: Das „Gesetz zur Reform der Pflegeberufe“ ist seit Juli 2017 beschlossene Sache. Die dazu gehörige Ausbildungs- und Prüfungsverordnung wurde im Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD am 28. Juni 2018 beschlossen. Im September 2018 hat der Bundesrat zugestimmt. Ein Referentenentwurf zur Ausbildungsfinanzierung kursiert seit Juni 2018. Die Pflegeschulen haben nun bis zum 1. Januar 2020 Zeit, sich darauf einzustellen.
Bislang wird die Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege getrennt ausgebildet. Seit einigen Jahren haben immer mehr Bundesländer das Schulgeld erlassen – Derzeit ist z. B. die Altenpflegeausbildung an öffentlichen Schulen kostenfrei, an privaten Schulen wird noch in sechs Bundesländern Schulgeld erhoben.
Im Zentrum der Reform steht die generalistische Ausbildung der Pflegeberufe, so wie in den meisten EU Staaten.
Inwieweit die generalistische Einheitsausbildung Fachwissen verflacht und wie man Generalisten und Spezialisten zugleich für eine moderne Pflegelandschaft ausbilden kann, wurde bis zuletzt intensiv diskutiert. Das ursprünglich durchgehend generalistische Konzept ist daher einem Kompromiss gewichen. Dieser sieht eine mindestens zweijährige generalistische Ausbildung vor und eine mögliche einjährige Spezialisierung in Kinderkranken- und Altenpflege. Die neuen Regelungen der Pflegeausbildung gelten ab dem 1. Januar 2020:
Die Reform der Pflegeausbildung will die Pflegeberufe zukunftsgerecht weiter entwickeln. Denn die Pflegefachkräfte müssen besser auf die neuen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft vorbereitet werden. Die immer komplexer werdende Behandlung und Pflege zunehmend multimorbider Menschen benötigt vermehrt interdisziplinär ausgebildete Pflegefachkräfte. Auch soll die generalistische Ausbildung eine Antwort auf die zunehmende Überschneidung der pflegerischen Aufgaben in Krankenhaus und Altenheim sein.
Ferner erhofft man sich, dass die Pflegeberufe attraktiver werden, und sich damit mehr Menschen für diesen Beruf entscheiden: Hier sollen weitere Stellschrauben aus dem Koalitionsvertrag, z. B. verbindliche Personalschlüssel oder das Anregen von flächendeckenden Tarifverträgen, die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern.
Dass die zukünftigen Fachpflegekräfte vielfältigere Jobmöglichkeiten haben und finanziell in der Ausbildung besser dastehen werden, macht den Beruf gewiss attraktiver. Ob wesentlich mehr junge Menschen in naher Zukunft den Pflegeberuf wählen, wird sich zeigen. Ohne weitere Maßnahmen wird man die großen Versorgungslücken aber wohl kaum schließen können.
Es gibt weiterhin unterschiedliche Abschlüsse und dadurch Hürden beim Wechsel.
Mit der neuen Ausbildung erhofft sich das Gesundheitsministerium auch einen Schritt hin zu einer besseren Bezahlung von Altenpflegefachkräften. Aber nun wird die Altenpflegeausbildung doch eigenständig und mit einem niedrigeren Kompetenzniveau separat weitergeführt. Sachverständige, Vertreter von Verbänden sowie die Oppositionsparteien empfinden die Reform daher als Abwertung des Altenpflegeberufs. Es sei nicht richtig, dass in der Altenpflege die Anforderungen geringgehalten würden, um keine Bewerber mit niedrigen Schulabschlüssen ausschließen zu müssen. Das sei angesichts immer komplexer werdenden Versorgungsaufgaben älterer Menschen fatal und werte den Ausbildungsberuf zu einer Altenpflege „light“ ab.
Stefan Sell, Sozialwissenschaftler und Pflegeexperte, sieht vor allem bei der Altenpflege kurzfristiges Potential, wenn die Arbeitsbedingungen entscheidend verbessert werden. Auch bei einem erheblichen Lohnzuwachs würden sich mehr Menschen für eine Ausbildung entscheiden. „Und wenn das Berufsbild endlich aufgewertet wird, dann steigt auch die Ausbildungsnachfrage.“
Bereits seit der Europäischen Pflege Konferenz (Wien 1988) und den Empfehlungen der WHO (2000) ist die Verwissenschaftlichung in Form einer grundständigen Hochschulausbildung von großer Bedeutung für die Pflegequalität. Pflege und Medizin sollen als Partner im Gesundheitswesen gleichberechtigt agieren. Deutschland ist bislang Schlusslicht in Europa bei dieser seit langem geforderten akademischen Pflegeausbildung.
Europaweit findet die Ausbildung in den Pflegeberufen überwiegend mit Bachelorabschluss an Hochschulen, Fachhochschulen oder in der Sekundar-Stufe-II statt. Nur in Deutschland und Luxemburg bildet man ausschließlich in der Sekundar-Stufe-II aus. Das ist die Mindestvoraussetzung gemäß der EG-Richtlinie 2005/36 auf dem Niveau von 1977.
Die Kompetenzen der deutschen Pflegekräfte scheinen deshalb deutlich begrenzter, obwohl neue Tätigkeiten in die Pflege integriert werden müssen. Dienste in der Notaufnahme, neue psychiatrische Aufgaben, Funktionsdiagnostik, Operationsdienste übernehmen in vielen anderen Ländern qualifizierte Pflegekräfte zur Entlastung der Ärzte und mit ihnen auf Augenhöhe. Deshalb erhofft sich der Deutsche Berufsverband der Pflegeberufe seit langem von der Reform eine Qualitätsoffensive im Einklang mit anderen EU Ländern.
Laut Michael Isfort und anderer Experten ist das deutsche Pflegesystem im internationalen Vergleich nicht konkurrenzfähig und wenig attraktiv.
Die Bezahlung und ihr Sozialprestige sind im europäischen Vergleich schlecht. Das gilt besonders für die Altenpflege. Um den belastenden Arbeitsbedingungen zu entgehen, arbeiten Pflegende in Teilzeit, geben den Beruf auf oder wandern in Länder mit besseren Arbeits- und Entlohnungsbedingungen ab, z. B. nach Skandinavien, in die Benelux-Staaten, nach Österreich oder Großbritannien.
In den „pflegerischen“ Vorbildländern wie Belgien, Niederlande oder den skandinavischen Ländern ist die Pflege längst als eigenständige Profession auf Augenhöhe mit der Medizin angekommen. Pflege ist eine öffentliche Aufgabe und wird aus Steuergeldern bezahlt. Die Kommunen organisieren die Pflege.
In Dänemark beginnt die Pflege niedrigschwellig: Ab 75 Jahren hat jeder Bürger einen Anspruch auf präventive Hausbesuche. Dort schauen die Gemeinden schon vor der eigentlichen Pflegebedürftigkeit nach ihren „Schützlingen“. Pflegehelfer sorgen für menschliche Nähe, führen ein sanftes Muskeltraining durch, helfen bei der Körperpflege und der Medikamentensortierung. Der Patient soll so lange wie möglich in seinem gewohnten zu Hause bleiben können. Der Pflegeberuf in Dänemark ist ein angesehener Beruf und hat auch Zulauf von ausländischen Pflegekräften.
Bildnachweis: Robert Kneschke – stock.adobe.com
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