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Von | 25. Oktober 2017

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Immer wieder erleben Pflegeheimbetreiber, dass bei den Prüfungen des Medizinischen Dienstes (MDK) oder durch die Heimaufsichten bei hochgezogenen Bettseitenteilen oder im Rollstuhl angebrachten Sitzgurten von Heimbewohner*innen nach der richterlichen Genehmigung gefragt wird. Tatsächlich ist aber nicht immer eine richterliche Genehmigung erforderlich!

Einwilligung der/des Betroffenen

Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der oder die Betroffene selbst in diese Maßnahme eingewilligt hat. Voraussetzung ist, dass die Person einwilligungsfähig ist und versteht, welche Bedeutung und Konsequenzen die Maßnahme hat. Daher ist bei entsprechenden Maßnahmen (und bei Verdacht oder Diagnose Demenz) durch ärztliches Attest sicher zu stellen, dass eine Einwilligungsfähigkeit besteht und dass die Person hierzu (möglichst schriftlich) tatsächlich eingewilligt hat.

Die Einwilligungsfähigkeit sollte natürlich aktuell sein; das heißt bei länger zurückliegenden (schriftlichen) Einwilligungen muss – gerade bei beginnender Demenz – auch offenkundig sein, dass zum Prüfungszeitpunkt die Fähigkeit zur Einwilligung gegeben ist. Bei Zweifeln in die Einwilligungsfähigkeit ist zu klären, ob eine Vorsorgevollmacht vorliegt oder eine Betreuung eingerichtet ist, damit die Bevollmächtigten oder die Betreuer umgehend beim Amtsgericht eine Genehmigung erwirken können.

Aber auch in Fällen von Einwilligungsunfähigkeit gilt es genau hinzuschauen, denn nicht jede Sicherungsmaßnahme, die eine betroffene Person nicht selbst entfernen oder sich daraus befreien kann, ist genehmigungspflichtig. Hierfür gibt es zwei Hauptgründe:

1. Intrinsische Bewegungsunfähigkeit (Koma, Apallisches Syndrom, Sterbende etc.)

2. Maßnahmen, die ad hoc, situativ selten und ungeplant und darüber hinaus nicht über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig, zum Beispiel aufgrund einer wiederholt beschreibbaren Situation, also absehbar wiederkehrend, stattfinden.

Intrinsische Bewegungsunfähigkeit

Bei einer schweren Form der Bettlägerigkeit, also in Fällen, wo die betroffene Person nicht mehr oder nur mit sehr großem Aufwand beispielsweise mittels Lifter aus dem Bett heraus transferiert werden kann und auch keinerlei Absichten und/oder Anstalten zeigt, sich fortbewegen zu wollen, geschweige denn zu können, ist nach entsprechender ärztlicher Attestierung keinerlei richterliche Genehmigung erforderlich.

Leider reicht die bloße Einschätzung von Ärzt*innen und Pflegekräften den entsprechenden Prüfinstanzen für stationäre Pflege (Medizinischer Dienst der Krankenkassen – MDK, Heimaufsicht) nicht aus, so dass die Einrichtungen bei dem Betreuer um einen entsprechenden Antrag beim Amtsgericht nachsuchen müssen. Durch das Ins-Spiel-Bringen eines Verfahrenspflegers und die Anhörung durch das Gericht erfolgt dann ein entsprechender Negativbescheid. Dieser dient dann der Einrichtung zur gesetzlichen Absicherung und Bestätigung der Fachlichkeit und Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Gemeinhin spricht man auch vom sogenannten „Negativbescheid“. Diesen können dann die Pflegekräfte den Prüfinstanzen vorlegen.

Bei vielen bettlägerigen Pflegebedürftigen zeigen sich noch minimale Eigenbewegungen. Hier besteht die Gefahr, dass sie bei unwillkürlichen und unkontrollierten Bewegungen oder bei sogenannten 30- oder 90-Grad-Lagerungen aus dem Bett fallen können, was angesichts ihrer Unfähigkeit sich beispielsweise mit den Händen schützend abzustützen möglicherweise zu schwerwiegenden Verletzungen (z. B. Frakturen) führen würde.

Hat die betroffene Person nicht mehr die Kraft und das Koordinationsvermögen, um gar über das Bettseitenteil hinweg zu klettern, ist in so einem Fall das hochgezogene Bettseitenteil durchaus eine sinnvolle und fachlich adäquate Maßnahme, die nicht etwa aufgrund von Aufstehversuchen oder -absichten seitens des Betroffenen unternommen wird. Dies ist gelegentlich auch daran zu erkennen, dass keine Abpolsterung am Bettseitenteil vorgenommen werden muss.

Die betroffene Person kann willkürliche, kontrollierte und zielgerichtete Eigenbewegungen nicht mehr durchführen und ist krankheitsbedingt und angesichts des Allgemeinzustands nicht mehr in der Lage, dem natürlichen Freiheits- und Bewegungsdrang nachzukommen. Sie zeigt darüber hinaus auch durch ihr (kommunikatives) Verhalten nicht mehr die entsprechenden Absichten.  Eine richterliche Genehmigung des Hochziehens der Bettseitenteile ist in solchen konkreten Fällen angesichts des nicht erkennbaren Willens oder Wunsches der Betroffenen, das Bett verlassen zu wollen, bzw. der Unfähigkeit, sich gezielt und willentlich bewegen zu können, also nicht erforderlich.

Temporäre oder nicht regelmäßige Maßnahmen

Das Gesetz (§ 1906 Abs. 4 BGB) besagt, dass eine freiheitsentziehende Maßnahme (FEM) dann genehmigungspflichtig ist, wenn sie „über einen längeren Zeitraum“ oder „regelmäßig“ erfolgt. Nun hat der Gesetzgeber nicht näher definiert, was beispielsweise ein längerer Zeitraum ist. Als Faustregel hat sich zwar die Formulierung durchgesetzt, dass nach 24 Stunden von einem längeren Zeitraum gesprochen werden könne, aber hier kommt es immer wieder auf die konkreten Umstände an.

Ist der Zeitpunkt absehbar, dass die freiheitsentziehende Maßnahme (FEM) wieder abgesetzt werden kann, weil sie nur im unvorhersehbaren Akutfall notwendig erscheint, weil beispielsweise ein Bewohner sich im Rahmen eines fieberhaften Infektes vorübergehend delirant gebärdet oder infolge einer Epilepsie unkontrollierte und potentiell selbstverletzende Aktionen durchführt, dann muss nicht sogleich an eine richterliche Genehmigung gedacht werden. Es sei denn, die Verwirrtheit des Bewohners mit entsprechend großem Gefahrenpotential verläuft chronisch und erscheint irreversibel.

Regelmäßigkeit im Sinne des Gesetzes liegt erst vor, wenn tatsächlich geplantermaßen und vorher- und absehbar, fixiert wird. Es liegen also klare Anhaltspunkte vor, deren Eintreten sehr wahrscheinlich ist. Eine pflegebedürftige Person, die wegen ihres Laufdranges zu den Mahlzeiten regelmäßig an einem Stuhl oder Rollstuhl fixiert wird, erfüllt demnach das Kriterium für die Genehmigungspflicht.

Erfolgt die Maßnahme hingegen ad hoc oder einmalig für einen relativ kurzen Zeitraum, quasi situativ, muss eine Genehmigung durch das Amtsgericht nicht eingeholt werden. Man kann sagen, dass solche Maßnahmen, wenn sie zwar gelegentlich angewendet werden, aber nicht die Kriterien von Vorhersehbarkeit und Planbarkeit aufweisen und wenn sie relativ selten und nur kurz angewendet werden, nicht dem Amtsgericht mitgeteilt werden müssen. Gleichwohl ist von den Pflegekräften immer eine ärztliche Anordnung in Form eines Attestes obligat.

Fazit

Erfolgt eine FEM ad hoc, situativ und ungeplant und darüber hinaus nicht über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig, zum Beispiel aufgrund einer wiederholt beschreibbaren Situation, also absehbar wiederkehrend, handelt es sich in der Regel nicht um eine amtsrichterlich genehmigungspflichtige Maßnahme.

Der Einzelfall sollte aber zunächst intern (Fallbesprechung) und im Zweifel zum Beispiel hinsichtlich Einwilligungsfähigkeit auch extern (durch Antrag beim Amtsgericht) abgeklärt werden, damit die Pflegeeinrichtung im Falle einer Qualitätsprüfung rechtssicher agiert.

Michael Thomsen

Michael Thomsen ist seit 1998 Fachkrankenpfleger für Geriatrische Rehabilitation mit langjährigen und grundlegenden Erfahrungen und Kenntnissen im Bereich der Pflege von Menschen mit altersassoziierten Erkrankungen wie Schlaganfall und Demenz. Die Erfahrungen im direkten Kontakt mit Bewohnern und Angehörigen sowie die Sachzwänge der professionellen Pflege haben ihn empfänglich gemacht für kreative und pragmatische Lösungen. Seit 2010 ist er ausgebildeter Heimleiter, Dozent und Autor diverser Fachartikel rund um die Themen Pflege und Demenz. Als ausgewiesener Pflegeexperte mit Erfahrungen in der stationären Altenhilfe legt er besonderen Wert auf der wissenschaftsbasierten Organisation von pflegerischen Dienstleistungen im Sinne einer pragmatischen Verknüpfung von Theorie und Praxis.

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